Kinder müssen Elternunterhalt auch bei Streit und fehlendem Kontakt leisten
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Wegen der vom Gesetz geforderten familiären Solidarität rechtfertigten die als schicksalsbedingt zu qualifizierenden Krankheiten der Eltern und deren Auswirkungen auf die Kinder - auch im Hinblick auf Streit und fehlenden Kontakt - es nicht, die Unterhaltslast dem Staat aufzubürden. Insofern hat der BGH nun entschieden, unter welchen Voraussetzungen der Sozialhilfeträger, der einem im Heim lebenden Elternteil Sozialleistungen erbracht hat, von dessen Kindern eine Erstattung seiner Kosten verlangen kann.
Der Sachverhalt:
Die Mutter 1935 geborene des Beklagten befindet sich seit April 2005 in einem Pflegeheim. Sie erhält Pflegeleistungen nach der Pflegestufe III und bezieht eine Witwenrente. Die Mutter litt schon während der Kindheit des Beklagten an einer Psychose mit schizophrener Symptomatik und damit einhergehend an Antriebsschwäche und Wahnideen. Sie hat den Beklagten nur bis zur Trennung und Scheidung von ihrem damaligen Ehemann im Jahr 1973 - mit Unterbrechungen wegen zum Teil längerer stationärer Krankenhausaufenthalte - versorgt. Seit spätestens 1977 besteht so gut wie kein Kontakt mehr zwischen dem Beklagten und seiner Mutter.
Die Klägerin, Trägerin der öffentlichen Hilfe, nahm den Beklagten aus übergegangenem Recht auf Zahlung von Elternunterhalt in Anspruch. Sie hat den Beklagten mit Rechtswahrungsanzeige vom 9.11.2005 zur Auskunftserteilung über sein Einkommen aufgefordert. Der Beklagte hat die geforderte Auskunft zwar erteilt, jedoch zugleich außergerichtlich den Einwand der Verwirkung gem. § 1611 BGB wegen verspäteter Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs erhoben. Außerdem habe ihn seine Mutter als Kind nie gut behandelt, so dass es eine unbillige Härte bedeuten würde, wenn er gegenüber dem Sozialhilfeträger kraft Rechtsübergangs für den Unterhalt der Mutter aufkommen müsste.
Das AG hat der Klage nur teilweise stattgegeben; das OLG hat den Beklagten im Wesentlichen antragsgemäß verurteilt. Die Revision des Beklagten blieb vor dem OLG erfolglos.
Die Gründe: Der Klägerin stand gegen den Beklagten ein Anspruch auf Zahlung von Elternunterhalt für seine leibliche Mutter aus übergegangenem Recht gem. den §§ 1601 ff. BGB, 94 Abs. 1, S. 1 SGB XII zu. Eine Verwirkung wegen verspäteter Geltendmachung scheiterte hier bereits am nicht erfüllten Zeitmoment, wonach der Gläubiger seinen Anspruch nur dann verliert, wenn er sein Recht längere Zeit- mindestens ein Jahr - nicht geltend macht, obwohl er dazu in der Lage wäre. Die Behörde hatte sich allerdings durchgängig um die Realisierung des auf sie übergangenen Unterhaltsanspruchs bemüht. Deshalb durfte sich der Beklagte auch nicht darauf einrichten, dass die Klägerin ihr Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde (sog. Umstandsmoment).
Außerdem kann eine psychische Erkrankung, die dazu geführt hat, dass der pflegebedürftige Elternteil der früheren Unterhaltsverpflichtung seinem Kind gegenüber nicht gerecht werden konnte, nicht als ein schuldhaftes Fehlverhalten i.S.d. § 1611 BGB mit der Konsequenz eines Anspruchsverlustes betrachtet werden. Wegen der vom Gesetz geforderten familiären Solidarität rechtfertigten infolgedessen die als schicksalsbedingt zu qualifizierende Krankheit der Mutter und deren Auswirkungen auf den Beklagten es nicht, die Unterhaltslast dem Staat aufzubürden.
Etwas anderes hätte dann gegolten, wenn der Lebenssachverhalt auch soziale bzw. öffentliche Belange beinhaltet. Das ist etwa der Fall, wenn ein erkennbarer Bezug zu einem Handeln des Staates vorliegt. Eine solche Konstellation lag der Senatsentscheidung vom 21.4.2004 (Az. XII ZR 251/01 - FamRZ 2004, 1097) zugrunde, in der die psychische Erkrankung des unterhaltsberechtigten Elternteils und die damit einhergehende Unfähigkeit, sich um sein Kind zu kümmern, auf seinem Einsatz im zweiten Weltkrieg beruhte. Soziale Belange, die einen Übergang des Unterhaltsanspruchs auf die Behörde ausschließen, können sich auch aus dem sozialhilferechtlichen Gebot ergeben, auf die Interessen und Beziehungen in der Familie Rücksicht zu nehmen. Der Ausschluss des Anspruchsübergangs auf den Sozialhilfeträger bleibt damit auf Ausnahmefälle beschränkt.